Schlagwort: 2007

35. Römerberggespräche – Die Berliner Republik – Eine Betriebsbesichtigung

35. Die Berliner Republik – Eine Betriebsbesichtigung

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REFERENTEN

MATTHIAS ARNING

Geboren 1963, studierte bei Herfried Münkler in Frankfurt am Main und Berlin Politische Wissenschaft und leitet heute das Frankfurt-Ressort der „Frankfurter Rundschau“. / PUBLIKATIONEN: Späte Abrechnung. Über Zwangsarbeiter, Schlussstriche und Berliner Verständigungen (2001).

EGON BAHR

Geboren 1922 in Treffurt/Werra. Nach 1945 Journalist u. a. als Chefkorrespondent und Chefredakteur beim RIAS Berlin. 1959 Presseattaché an der Deutschen Botschaft in Ghana. 1960 Senatssprecher und Chef des Presse- und Informationsamtes in Berlin. 1966 Sonder-botschafter und Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. 1969 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, verhandelte den Moskauer Vertrag (1970/71) und das Vier-Mächte-Abkommen für Berlin sowie den Grundlagenvertrag mit der DDR (1972). 1972 Bundesminister für besondere Aufgaben. 1972–1990 Mitglied des Deutschen Bundestages. 1974–1976 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. 1976–1981 Bundesgeschäftsführer der SPD. 1976–1991 Präsidiumsmitglied der SPD. 1980–1990 Vorsitzender des Unterausschusses für Abrüstungs- und Rüstungskontrolle des Deutschen Bundestages. 1984–1994 Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. 1989 Ernennung zum Professor. 1998 Mitbegründer (zus. mit Günter Grass u. Peter Brandt) des Willy-Brandt-Kreises. / PUBLIKATIONEN u. a.: Sicherheit für und vor Deutschland: Vom Wandel durch Annäherung (1991). Zu meiner Zeit (1996). Deutsche Interessen: Streitschrift zu Macht, Sicherheit und Außennpolitik (1998). Zur Lage der Nation: Leitgedanken für eine Politik der Berliner Republik (2001). Der deutsche Weg (2003).

GÜNTER BANNAS

Geboren 1952 in Kassel. Studium der Geschichte, Volkswirtschaftslehre, Finanzwissenschaften, Politischen Wissenschaften und der Sozialpsychologie. Nach einer Hospitanz wurde er 1977 beim Deutschlandfunk ständiger freier Mitarbeiter in verschiedenen politischen Redaktionen. 1979 Eintritt in die Nachrichtenredaktion der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, 1981 zur politischen Berichterstattung nach Bonn entsandt. Von Februar 1997 an leitete Bannas das Büro der „Süddeutschen Zeitung“ am Regierungssitz. Im Sommer 1998 Rückkehr in die Bonner F.A.Z.-Redaktion. Seit Herbst 1998 leitet er das politische Ressort der Zeitung in Bonn, seit Sommer 1999 die politische F.A.Z.-Redaktion in Berlin.

ERNST-WILHELM HÄNDLER

Geboren 1953 in Regensburg. Studium der Wirtschaftswissenschaften und Philosophie in München, Promotion. Danach übernahm er die Geschäftsführung des familieneigenen metallverarbeitenden Unternehmens bei Regensburg. Ernst-Wilhelm Händler lebt in Regensburg und München. / PUBLIKATIONEN: 1995 erschien sein vielbeachtetes literarisches Debüt, der Erzählungsband „Stadt mit Häusern“. Es folgten die drei Romane „Kongreß“(1996), „Fall“ (1997) sowie „Sturm“ (1999). 1999 wurde Händler mit dem Erik-Reger-Preis ausgezeichnet. 2003 erschien der Roman „Wenn wir sterben“ und im vergangenen Jahr „Die Frau des Schriftstellers“.

JEFFREY HERF

Geboren1947 in Milwaukee, Wisconsin. Professor of History an der University of Maryland, College Park. Sein Spezialgebiet ist die europäische Politik- und Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts, vor allem Deutschlands. Er promovierte 1980 an der Brandeis University und lehrte an der Ohio University in Athens, Ohio. Er hat zahlreiche Essays u.a. in „The New Republic“, „Die Zeit“ und „Partisan Review“ veröffentlicht. Für seine Forschungen erhielt er den George Lewis Beer Prize der American Historical Association und auch den Fraenkel Prize der Wiener Library in London. Herf ist gegenwärtig Fellow an der American Academy in Berlin. / PUBLIKATIONEN u.a.: Reactionary Modernism: Technology, Culture and Politics in Weimar and the Third Reich (1984). War By Other Means: Soviet Power, West German Resistance and the Battle of the Euromissles (1991). Divided Memory: The Nazi Past in the Two Germanys (1997); deutsch unter dem Titel: Zweierlei Erinnerung: Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland. The Jewish Enemy: Nazi Propaganda during World War II and the Holocaust (2006). Für dieses Buch erhielt er den American National Jewish Book Award.

ULRICH HERBERT

Geboren 1951. Studium der Geschichte, Germanistik und Volkskunde an der Universität Freiburg i.Br. Lehrerausbildung und Tätigkeit als Studienrat. Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Neuere Geschichte der Fernuniversität Hagen. Research Fellow am Institute for German History der Universität von Tel Aviv. Habilitation an der Fernuniversität Hagen. 1992 bis 1995 Direktor der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus, Hamburg. Seit 1992 Leiter der Forschungsgruppe „Weltanschauung und Diktatur: Perspektiven des NS-Regimes“. Seit 1995 Professor am Historischen Seminar der Universität Freiburg i.Br., Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte. 1994 – 2004 Leiter der Forschungsgruppe „Liberalisierungsprozesse in Westdeutschland“. 1999 Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 2000 – 2008 Leiter der Forschungsgruppe „Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 1920-1970“, zus. mit R. v. Bruch, Berlin. 2003/04 Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. 2001 – 2006 Mitglied des Wissenschaftsrats.
Herausgeber der Buchreihen Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert, Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (zus.mit L. Raphael), Studien zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft (zus. mit R. vom Bruch und P. Wagner), Beiträge zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft (zus. m. R. vom Bruch). Mitherausgeber des Journal for Modern European History. Seit 2006 Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. / PUBLIKATIONEN (Hg.) Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung, 1945 – 1980, Göttingen 2002. Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München 2001. Nationalsozialistische Vernichtungspolitik, 1939 bis 1945. Neue Forschungen und Kontroversen, Frankfurt am Main 1998. (Engl. New York und Oxford 1999; hebräisch: Jerusalem 2000, frz. Paris 2004). Die nationalsozialistischen Konzentrationslager 1933 bis 1945. Entwicklung und Struktur, 2 Bände, Göttingen 1998 (Hg. zus. mit Karin Orth u. Christoph Dieckmann), 2. Aufl. Frankfurt a. M. 2002.

RAHEL JAEGGI

Studium der Philosophie, Geschichte und Religionswissenschaft an der Freien Universität Berlin. 2002 Promotion am Institut für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. August 2001–April 2002 Forschungsassistentin an der Universität St. Gallen, Schweiz. Sept. 2002 bis Mai 2003: Visiting Assistant Professor an der Yale University, New Haven/USA, Program for Ethics, Politics and Economics. Seit Juni 2003 Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Philosophie der J.W. Goethe-Universität, Frankfurt a.M. Zur Zeit Habilitation. / PUBLIKATIONENWelt und Person (1997). Entfremdung: Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems (2005).

NAVID KERMANI

Geboren 1967, ist habilitierter Orientalist und war bis 2003 Long Term Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Seitdem lebt er als freier Schriftsteller in Köln. Für sein akademisches und literarisches Werk ist er mehrfach ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Stipendium der Villa Massimo in Rom. Er hat einen deutschen und einen iranischen Pass. / PUBLIKATIONEN Gott ist schön: Das ästhetische Erleben des Koran (1999). Iran: Die Revolution der Kinder (2000). Das Buch der von Neil Young Getöteten (2002). Schöner neuer Orient: Berichte von Städten und Kriegen (2003). Vierzig Leben (2004). Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (2005). Du sollst! (2005). Kurzmitteilung. Roman (2007).

ADAM KREZMINSKI

Geboren 1945 in Radecznica / Westgalizien. Er studierte Germanistik in Warschau und Leipzig. Seit 1973 ist er Redakteur des polnischen politischen Wochenmagazins „Polityka“ und Autor von Drehbüchern und Essays. Er war Gastredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ und gilt als Fachmann für deutsch-polnische Beziehungen.1993 wurde ihm die Goethe-Medaille verliehen, 1996 erhielt er den Essayistik-Preis des Polnischen P.E.N.-Clubs. Sein Engagement für die deutsch-polnische Verständigung wurde 1999 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz geehrt. 2006 erhielt er den Viadrina-Preis der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Krzeminski ist Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Warschau. / PUBLIKATIONENPolen im 20. Jahrhundert. Ein historischer Essay (1993). Deutsch-Polnische Verspiegelung (2001). Schuld Sühne & Stolz & Vorurteil (gemeinsam mit Gunter Hofmann) (2007).

STEPHAN LEIBFRIED

Geb. 1944 in Göttingen. Derzeitige berufliche Position: Professor für politische Soziologie mit Schwerpunkt Sozialpolitik und Public Policy an der Universität Bremen, zugleich Ko-Direktor des Zentrums für Sozialpolitik (ZeS), der Graduate School of Social Sciences (GSSS). Seit Ende 2007 „principle investigator“ und „field chair“ in der nachfolgenden sozialwissenschaftlichen Graduiertenschule aus der ersten Förderlinie der Exzellenzinitiative. Seit 2004 Leiter des Sonderforschungsbereiches „Staatlichkeit im Wandel“ (2003-2010; dann erneute Begutachtung ) der Universität Bremen (s. www.staat.uni-bremen.de). / HAUPTFACHRICHTUNG: Politikwissenschaft, Soziologie, sowie Recht und Sozialgeschichte. / LETZTE PUBLIKATIONEN u.a.: (Zus. mit Elmar Rieger:) Grundlagen der Globalisierung (2001). (Zus. mit Elmar Rieger:) Limits to Globalization. Welfare States and the World Economy (2003). (Zus. mit Elmar Rieger:) Kultur versus Globalisierung. Sozialpolitische Theologie im Konfuzianismus und Christentum (2004). (Zus. mit Herbert Obinger, Claudia Bogedan, Edith Gindulis und Julia Moser:) Welfare State Transformation. Small Countries – Big Lessons (2008)

RICHARD MENG

Geboren 1954. Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Mathematik, Promotion in Gießen. Seit 1984 Redakteur und Korrespondent der „Frankfurter Rundschau“, von 1988-1996 Landespolitik Wiesbaden, ab 1996 Bonn/Berlin, seit 2006 stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Berliner Redaktion./ MEHRERE BUCHVERÖFFENTLICHUNGEN, ZULETZT: Der Medienkanzler – was bleibt vom System Schröder? (2002); Merkelland – wohin führt die Kanzlerin? (2006).

ALF MENTZER

Geboren 1966 in Rendsburg. Studium der Anglistik, Amerikanistik, Philosophie und Geschichte in Bonn, Harvard und Frankfurt/Main. Seit 2006 Redaktionsleiter Literaturabteilung hr2 beim Hessischen Rundfunk. / PUBLIKATIONEN: Die Blindheit der Texte. Studien zur literarischen Raumerfahrung, Heidelberg 2001. (Mit Hans Sarkowicz:) Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon, Hamburg 2000 und 2002.

STEFAN NIGGEMEIER

Geboren 1969 in Harderberg, Landkreis Osnabrück. Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität, München. Fester Freier der Neuen Osnabrücker Zeitung (1989–1993). Deutsche Journalistenschule, München (1991–1995). 30. Lehrredaktion. werben & verkaufen (1996–1997). Redakteur elektronischer Medien, kommissarischer Ressortleiter. Süddeutsche Zeitung (1997–2001). Fester Freier. kress report (1997–1999). Hamburg-Korrespondent. Die Zeit (2000–2001). Regelmäßige Beiträge in der Kolumne „Offline“. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (2001–2006). Verantwortlicher Medienredakteur. BILDblog (seit Juni 2004). Gründer und Mitblogger. / PREISE: Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik 2003; Grimme-Online-Award für BILDblog 2005. Leuchtturm-Sonderpreis des Netzwerk Recherche für BILDblog 2005. „Journalist des Jahres 2006“ („Medium Magazin“): 2. Platz in der Kategorie Reporter. Grimme-Online-Award für stefan-niggemeier.de/blog 2007. / PUBLIKATIONEN: (Zus. mit Michael Reifsteck:) Das Fernsehlexikon (2005).

HANS-JÜRGEN URBAN

Geboren 1961 in Neuwied am Rhein. Er studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Philosophie in Bonn, Gießen und Marburg/Lahn. 2003 Promotion im Fachbereich Gesellschaftswissenschaft und Philosophie an der Philipps-Universität Marburg. Von 1997 bis 2003 Leiter des Funktionsbereichs „Sozialpolitik“ beim Vorstand der IG Metall, seitdem des Funktionsbereichs „Gesellschaftspolitik – Grundsatzfragen – Strategische Planung“. Zahlreiche Fachartikel.

SIGRID WEIGEL

Geboren 1950 in Hamburg. Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin, Professorin am Institut für Literaturwissenschaft der TU Berlin. 1984–1998 Professuren in Hamburg und Zürich; 1990–1993 Vorstandsmitglied des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen; 1998–2000 Direktorin des Einstein Forums Potsdam. / DERZEITIGE FORSCHUNGSPROJEKTE: Das Konzept der Generation. Zur narrativen, zeitlichen und biologischen Konstruktion von Genealogie; Figuren des ‚Sakralen‘ in der Dialektik der Säkularisierung; Erbe, Erbschaft, Vererbung. Überlieferungskonzepte zwischen Natur und Kultur im historischen Wandel; Generationen in der Erbengesellschaft – ein Deutungsmuster soziokulturellen Wandels; Topographie pluraler Kulturen Europas in Rücksicht auf die „Verschiebung Europas nach Osten“. / LETZTE PUBLIKATIONEN: Genealogie und Genetik. Schnittstellen zwischen Biologie und Kulturgeschichte (Hg., 2002). „ Der liebe Gott steckt im Detail“. Mikrostrukturen des Wissens. (Mit-Hg., 2003). Literatur als Voraussetzung von Kulturgeschichte. Schauplätze von Shakespeare bis Benjamin. ( 2004). Generation. Zur Genealogie des Konzepts – Konzepte von Genealogie . (Mit-Hg., 2005). „fülle der combination“. Literaturforschung und Wissenschaftsgeschichte (Mit-Hg., 2005). Genea-Logik. Generation, Tradition und Evolution zwischen Kultur- und Naturwissenschaften (2006). Märtyrer-Porträts. Von Opfertod, Blutzeugen und heiligen Kriegern (Hg., 2007).

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INFORMATIONSTEXT

1990 war das Ende der Teilung und der Nachkriegsepoche unwiderruflich. Die größere Bundesrepublik, der die DDR beigetreten war, schloß mit dem (von dem Publizisten Johannes Gross in die Öffentlichkeit gebrachten) Begriff „Berliner Republik“ an die demokratische Substanz der Weimarer und der Bonner Republik an. An ihrer Gründung war ein von keiner Skepsis gebremster Optimismus beteiligt. Als der Bundestag im Juni 1991 beschloß, die wichtigsten Verfassungsorgane und Großteile ihrer Verwaltung in die ehemalige Hauptstadt zu verlegen, erschien jeder Aufbruch möglich und wahrscheinlich. Doch der Prozeß der Selbstfindung in den ungewohnten Verhältnissen und das historische Geschenk der Wiedervereinigung haben zu neuen Verwicklungen, unvorhergesehenen Rückschritten, inneren Verfremdungen geführt. Alles wirkt viel komplizierter und widersprüchlicher als ursprünglich gedacht. Gegenwärtig scheint die Berliner Republik von globalen politischen Zwängen und von der Kompromißnot der Großen Koalition umstellt. Es fehlt ihr an Souveränität zur Selbstkritik ihrer Entwicklung in mehr als anderthalb Jahrzehnten und zur utopischen Vorausschau jenseits der demographischen Hochrechnung.

Einige streitbare Geister finden bei den diesjährigen Römerberggesprächen zusammen, um beides zu versuchen: einen Blick zurück auf die Erfolge und Fehlleistungen seit der Wende, einen anderen nach vorn auf die Zukunft unseres Staates und unserer Gesellschaft. Historiker und Soziologen, Publizisten, Politologen, Kulturwissenschaftler und Schriftsteller diskutieren die Lage.

Der erste Tag – Freitag, der 16. November, ist der Retrospektive gewidmet. Mit dem Ende der DDR sollte eine ungeteilte Nation entstehen. Aber mit der inneren Erblast mehrerer Generationen hat – wenigstens in Westdeutschland – nach der Wende kaum jemand gerechnet. Egon Bahr, der grand old man der Deutschland- und Entspannungspolitik, der Anfang der siebziger Jahre den deutschen Grundlagenvertrag verhandelt hat, blickt noch einmal zurück auf den Prozeß, der Ende 1989 in Gang gekommen ist: auf außenpolitische Glücksfälle und innenpolitische Kalamitäten.

Die BRD und die DDR haben aus den Verbrechen des Nationalsozialismus Lehren für ihre jeweilige Politik ziehen wollen – auf jeweils andere Weise. Die DDR hat den Widerstand im Dritten Reich und in den Konzentrationslagern zu ihrem Gründungsmythologem gemacht. Die BRD wollte alles dafür tun, dass sich die Massen- und Völkermorde nie mehr wiederholen können. Mit der DDR ist jedoch auch ihr erklärter Antifaschismus zu einer fragwürdigen Propagandaformel geworden und im Westen mehren sich die Schlußstrichdebatten. Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf, der sich in zahlreichen Beiträgen vor allem mit der Geistesgeschichte in Deutschland seit der Weimarer Republik auseinandergesetzt hat, wagt einen Blick von außen auf die Konditionen des geteilten Gedächtnisses. Ihm folgt sein deutscher Kollege Ulrich Herbert; er spricht über Zukunft und Grenzen von Geschichtspolitik.

Die Osterweiterung der Europäischen Union fand in den Bundesregierungen gleich welcher politischer Couleur die treibende Kraft. Verloren damit die Atlantiker entscheidend an Boden und wird das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten noch angespannter? Die vergangene polnische Regierung unter den Brüdern Kaczinski hat demgegenüber die Ängste vor einer deutschen Hegemonie in Europa geschürt. Der polnische Publizist Adam Krzeminski, hier wie dort wegen seiner brillanten Beiträge ausgezeichnet, deutet die frostige Fremdheit, die sich ins deutschpolnische Verhältnis immer wieder einschleicht, und sondiert Deutschlands zukünftige Rolle für die osteuropäischen Länder.

Am zweiten Tag, Samstag, dem 17. November, widmen sich die 35. Frankfurter Römerberggespräche vor allem zukünftigen Entwicklungen unseres Landes – jenseits der demographischen Prognosen, der politischen Spekulation und der Kulturkritik mit geschichtlichen Versatzstücken. Es geht um Fragen, die entstehen aus dem Wissen um den rapiden gesellschaftlichen Wandel, der nicht mehr aufgehalten wird von der starren Ordnung zweier Blöcke im Kalten Krieg. Geht diese Veränderungen wie eine Folge von Naturereignissen über uns hinweg oder sind sie mit politischen Regeln beherrschbar? Und wie sehen die Instrumentarien aus, derer wir uns bedienen können? Die Frankfurter Philosophin Rahel Jaeggi beschreibt den Zustand des Öffentlichen: den Verbrauch des Privaten, die Verwahrlosung städtischer Räume, die Verinnerung der Entfremdung.

In den letzten zwei Jahrzehnten des Kalten Kriegs war eine Formel im politischen Umlauf: Deutschland als Kulturnation. Sie beschwor jenseits der Teilung des Landes die gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen, berief sich auf die Prägekraft von kulturellen Werten, suggerierte einen symbolischen Großraum. Die Berliner Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel erörtert die Perspektiven der Kulturnation im Prozess der Europäisierung.

Deutschland ist den Gesetzen nach ein Einwanderungsland. Aber es gibt keine gemeinsame Orientierung über das, was mit den Fremden hierzulande geschehen soll. Die simpelste Alternative lautet: Integration oder Multikulti. Man kann auch sagen: Unterwerfung unter eine deutsche Leitkultur oder eine relativische Beliebigkeit des Nebeneinander, die Konflikte schürt. Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Die Schwierigkeiten, brauchbare Antworten zu finden, beschreibt Navid Kermani, Orientalist und welterfahrener Schriftsteller.

Die Hemmungen, die Privatsphäre öffentlich zur Schau zu stellen, schwinden zusehends. Immer größere Felder der Politik werden im Fernsehen vertalkt, ganz zu schweigen von den banalen Sensationen der Stars und jener, die sich anmaßen, welche zu sein. Die Erregung übernimmt die Rolle des Konflikts. Über die Verbreiterung des Boulevards im Journalismus diskutieren drei Experten: der Medienexperte Stefan Niggemeyer (BILDblog) und die beiden Hauptstadt-Journalisten Günter Bannas (FAZ) und Richard Meng (FR).

Zum Abschluss der Römerberggespräche geht es um den Sozialstaat, in dem der stürmische Wandel besonders spürbar wird. Die Kontroversen über die Haltbarkeit eines gesellschaftlichen Modells, in dem Solidarität, gegenseitige Hilfe und soziales Handeln als Werte verbürgt sind, werden die zukünftigen Wahlkämpfe bestimmen. Stephan Leibfried, Politologe und Soziologe in Bremen, fragt nach, ob wir uns vom „(Sozial-)Staat“ verabschieden müssen. Seine Thesen diskutieren Ernst-Wilhelm Händler, der viele Jahre einen mittelständischen Betrieb geleitet hat und mit fulminanten Romanen hervorgetreten ist, und Hans-Jürgen Urban, Cheftheoretiker der IG Metall.

Die Moderation haben übernommen: Alf Mentzer, Literaturredakteur des Hessischen Rundfunks, und Matthias Arning, Lokalchef der Frankfurter Rundschau.

Die diesjährigen Frankfurter Römerberggespräche knüpfen an die große Tradition der Diskussionskultur und Bürgeraussprache in Frankfurt an. Sie sind ihr vielleicht wirksamstes, jedenfalls ihr haltbarstes Instrument. Sie stehen – bei freiem Eintritt – allen Interessierten offen und finden im Chagallsaal des Schauspiels Frankfurt statt.Freitag, den 16. November ab 17.00 Uhr und Samstag, den 18.11. ab 10.00 Uhr.

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PRESSEBERICHTE

FAZ 1
Das Wort „Deutschland“ geht Egon Bahr leicht über die Lippen – Römerberggespräche zum Thema „Die Berliner Republik“ (PDF Dokument, 15 KB)

FAZ 2
Ach so, Deutschland – Grenzen der Souveränität: Die Römerberg-Gespräche
(PDF Dokument, 20 KB)

FR1
Im Umbruch – Teilnehmer der Römerberggespräche unternehmen eine Betriebsbesichtigung der Republik (PDF Dokument, 10 KB)

FR2
35. Römerberggespräche – Wie Europa sich ein Bild vom Islam und dabei von sich selbst macht (PDF Dokument, 12,8 KB)

SZ
Eine Betriebsbesichtigung – Wie Europa sich ein Bild vom Islam und dabei von sich selbst macht (PDF Dokument, 29,3 KB)

taz
Eine fulminante Rede – Egon Bahr über die „Berliner Republik“ (Word Dokument, 37,4 KB)

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